Fein-blättrig oder zart-gerippt: Beton weckt Appetit auf mehr

Filigran und beständig, leicht und belastbar, recycelt und high fashion: beim Baumaterial der Zukunft ist die Wunschliste lang. Man muss nicht lange danach suchen – es ist und bleibt Beton. Am 15. Schweizer Betonforum «Über die Schlüsselrolle des Betons in Zukunft» vom 7. Juni 2023 erläuterten die Referentin und die Referenten, dass an diesem Baustoff kein Weg vorbeiführt, der Weg zu einem klimagerechten und ressourcenschonenden Einsatz aber noch lang sei. Die Präsentationen spannten thematisch einen weiten Bogen:  

Sie zeigten, dass sich Tragwerkserhaltung für den Bauherrn auszahlen kann, er aber 300 Stunden in eine Vorstudie investieren sollte; dass Picassos Stier eine Anleitung liefern kann, wie sich geerntete Bauteile einer neuen architektonischen Verwendung zuführen lassen und dass unbewehrte Sakralbauten alter Meister die Entwicklung eines innovativen, leichtes Bodensystem beflügelten. Die Referentin und die Referenten zeigten ausserdem, dass die Schönheit eines Zweiblatts und der sparsame Einsatz von Ressourcen in der Natur auch Impulse für die Architektur geben kann, dass es vieler kleiner Schritte und radikaler Ideen bedarf, um «Reduce, Re-Use and Re-Cycle» im Städtebau umzusetzen und dass man Mainstream-Denken auch mal auf den Kopf stellen muss, um eine wirklich nachhaltige Lösung mit langer Lebensdauer erreichen zu können. 

Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Lukas Ingold, Architekt und bis 2023 Lehrbeauftragter an der ETH Zürich. 

Hier ein umfassender Überblick über alle Referate des Betonforums:

Das Potenzial der Tragwerkserhaltung

Tomaž Ulaga, Dr. sc. techn, dipl. Bauing. ETH SIA,

Geschäftsführer Ulaga Weiss AG, Basel

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Mit «grossen Tieren» kennt er sich aus. Dr. Tomaž Ulaga, Ulaga Weiss AG, plädiert dafür, bei geplanten Umbauten dem Bauherrn oder der Bauherrin das mit einem Entscheid einhergehende Risiko transparent zu vermitteln. Eine Vorstudie mit hartem Faktencheck bildet die Basis, ob die Erhaltung eines Bestandesbaus möglich oder ein Ersatzneubau sinnvoll ist. Dreh- und Angelpunkt ist die Strategiematrix für Umbauprojekte. Die erste Frage danach, was das Haus kann, erscheint oberflächlich und beinahe banal. Sie leitet aber über zu einer analytischen Einschätzung der technischen Performance. «Erdbebensicherheit, Traglasten, Feuerwiderstand und Aufstockbarkeit sind das Themenquartett des Umbaus», so Tomaž Ulaga, «die Aussagen und Analysen zeigen das Potential für einen tiefgründigen intensiven Umbau». Diese fliessen ein in ein Diagramm mit vier Quadranten: die liegende Achse erfasst die Kenntnisse zum Bestandesbau (sehr gut vs. Schlecht), die stehende Achse die Umbauintensität (defensiv mit geringer Intensität vs. sehr intensiv). Vorhaben mit einem erhöhten Risiko lassen sich auf zweierlei Weise entschärfen: Entweder man untersucht das Gebäude besser oder man reduziert die Umbauintensität. Planungsannahmen, die sich erst bei der Ausführung verifizieren lassen, sorgen bei allen beteiligten Parteien für Unmut. Mit der Strategiematrix lässt sich der zeitliche und finanzielle Aufwand beziffern und der «Elefant im Raum», wer das Risiko trägt, erhält einen Namen. Es ist die Bauherrschaft und mit ihr ihre Erwartungen.   

Re-Use Concrete? Neue Kreisläufe für bestehende Betonstrukturen

Adrian Kiesel, MA. Arch. Zürcher Fachhochschule ZFH,

Wiss. Mitarbeiter ZHAW Winterthur & selbstständige Tätigkeit bei Bouquet Architekten

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Adrian Kiesel, Architekt und Projektleiter Loelinger Strub Architektur, will weg vom kontrollierten Rückbau bestehender Betongebäude. Dabei werden Treibhausgase freigesetzt und graue Energie verbraucht. Zudem stehen Aushub und die Bauabfälle für 62 Prozent unserer Abfallproduktion. Adrian Kiesel baut auf neue Kreisläufe für bestehende Bauteile. Lässt sich eine Systematik hinter Bauteilen erkennen? Dafür untersuchte er die Eigenschaften von Beton- und Stahlteilen aus zehn Gewerbebauten, mehrheitlich aus Zürich und drei aus Basel, bevor sie in den Bauteilkatalog aufgenommen wurden. Adrian Kiesel liess sich bei seiner Arbeit von Urs Wehrlis «Kunst aufräumen» und Pablo Picassos Stier animieren, um zu erforschen, wie sich wiederverwendete Bauteile neu zusammensetzen liessen.
  

Beim Wettbewerb Recyclinghof Juch-Areal in Zürich war verbindlich vorgeschrieben, nur Re-Use-Bauteile zu verwenden. Hier zeigte sich wie unter einem Brennglas, auf welche Hindernisse eine hehre Idee stossen kann. Als «Mine» sollten die Personalhäuser des Triemli-Spitals dienen, bis die Politik diesem Vorhaben einen Riegel schob. Und welche Betonteile eignen sich wegen ihres Gewichts überhaupt dafür, rückgebaut zu werden und welche Verkehrsmittel benötigt man für ihren Transport? Gibt es eine leere Brache, um diese zu lagern? Und wie lässt sich Reparatur und Instandhaltung organisieren? Adrian Kiesel sieht eine Lösung darin, die Wiederverwendung von Tragwerken bereits von Beginn an in die Planung und Entwicklung neuer Baukonstruktionen miteinzubeziehen. Betrachtet man die Kosten, ist konventionelles Bauen klar noch die günstigste Methode. «Zieht man aber in die Bilanz die Treibhausemissionen mit ein, emittiert ein Rückbau 80 Prozent weniger CO2als ein Neubau», so Adrian Kiesel. 

CreaTower I - RFS Decken

Philippe Block, Professor und Co-Direktor, Block Research Group, ETH Zürich

Mike Guyer, Annette Gigon / Mike Guyer Architekten, Zürich, Professur für Architektur und Konstruktion, ETH Zürich

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Das filigrane, geometrische Deckengewölbe des King’s College in London diente als Inspiration beim CreaTower I in Zug. Das zehngeschossige Bürogebäude verkörpert eine nachhaltige Dreifaltigkeit von CO2-reduzierten Materialien, einem geringeren Baustoffverbrauch und eines auf eine lange Lebensdauer hin optimiertes Gebäude. Dabei setzen Prof. Mike Guyer, Gigon/Guyer Architekten,und Dr. Philippe Block, Block Research Group, ETH Zürich, auf geometriebasierte Verfahren für den Entwurf von leichten Tragwerkskonzepten. Projekte wie die Forschungs- und Innovationsunit NEST HiLo mit ihren dünnen, flexibel geformten Betonschalen «show the power of geometry and what you can achieve», so Philippe Block. Eine Entwicklung der Block Research Group daraus ist das Rippmann Floor System (RFS), ein leichtes und extrem schadstoffarmes Bodensystem. Beim CreaTower I steht das Rippmann Floor System für 66 Prozent weniger Masse und 69 Prozent weniger CO2verglichen mit konventionellen, armierten Gewölbedecken. Die Reduktion auf zwei Untergeschosse trägt mit dazu bei, dass der zehngeschossige Rohbau samt Fundation um 33 Prozent leichter ist als eine konventionelle Konstruktion und 35 Prozent weniger CO2 emittiert. «Bei vier Untergeschossen sind die ganzen Anstrengungen, die wir oberirdisch tätigen, sozusagen aufgesogen», so Mike Guyer. Ein Hohlbogensystem nimmt die ganze Haustechnik auf. Leichtbetonelemente bilden die Fassade. Das Gebäude erfüllt die Akustikanforderungen eines Bürogeschosses. Aktuell laufen Schallmessungen, Belastungsproben und feuerpolizeiliche Abklärungen. Auch der Bauherr stellt durch die Festlegung eines fixen Betrags pro Quadratmeter sowie durch die Machbarkeitskriterien weitere Anforderungen auf, die vor der Bewilligung erfüllt werden müssen.  

Über Schönheit, technische Notwendigkeit und Weiterbauen in der Architektur

Angela Deuber, Dipl. Arch. ETH/SIA

ADA Angela Deuber Architects, Zürich

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Wer Schönheit und technische Notwendigkeit beim Bauen vereinen möchte, sollte sich laut Angela Deuber, ADA Angela Deuber Architects, an der Natur orientieren. Warum empfindet man ein gemeines Zweiblatt schön? Es ist das perfekte Verhältnis von wunderschöner Auskragung und Höhe, so Angela Deuber. Die Primarschule und der Kindergarten in Thal mit den sich wiederholenden geometrischen Öffnungen, die das Gebäude beinahe transparent erscheinen lassen, wurden in Beton ausgeführt. Mit der Idee der Auskragung hat sich Beton als das bestimmende Material herauskristallisiert. Das Leitmotiv «Denken zur Natur hin und dann kommt die Architektur» hat weitere Bauten wie das Hochhaus in Baden, das sich gegenwärtig im politischen Prozess befindet, oder ein Gebäude in Leichtbauweise in Soho (NY) inspiriert. «Der Baustoff Beton schrumpft in unserem Werk», sagt Angela Deuber. In den Spannweiten und beim Gewicht liegt vielleicht ein riesiges Potential. Angela Deuber plädiert fürs Weiterbauen, Verdichten und Aufstocken, den neu zu bauen ist ein unglaublicher Energieaufwand, darüber lohnt es sich grundsätzlich nachzudenken.

Kreislauf und Nachhaltigkeit aus Sicht des Amts für Hochbauten - Reduce, Re-Use, Re-Cycle

Armin Grieder, Dipl. Bauingenieur ETH / SIA, 

Leiter Fachstelle Bauingenieurwesen, Amt für Hochbauten Stadt Zürich

Michael Pöll, Dipl. Masch. Ing. ETH 

Fachexperte umweltgerechtes Bauen, Amt für Hochbauten Stadt Zürich

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Das Ziel Netto-Null in der Stadt Zürich bis 2040 erweist sich in der Praxis beinahe als Quadratur des Kreises. Armin Grieder, Bauingenieur,und Michael Pöll, Maschinenbauingenieur – beide tätig beimAmt für Hochbauten der Stadt Zürich – blicken stoisch auf die Anzahl der in der Stadt Zürich gebauten oder sich in der Planung respektive im Bau befindlichen Gebäude, die die Treibhausgasemissionen (THG) nach oben schiessen lassen. Sie fokussieren sich auf die Handlungsoptionen «Reduce, Re-Use, Re-Cycle», die teils erstaunliches Einsparpotential aufweisen. Der Stahlbau trägt rund ein Drittel bis zur Hälfte der THG-Emissionen im Hochbau bei. Mögliche Lösungen sind hocheffiziente Deckensysteme ohne Hohlkörper mit Rippen, keine aufwändigen Auskragungen, moderate Spannweiten und einfache Tragstrukturen, die «Kräfte nicht spazierenführen». Besonderes Augenmerk legen Armin Grieder und Michael Pöll bei Neubauten auf die Trennung der Systeme mit unterschiedlicher Nutzungsdauer, geringe Einbautiefen, Bauteile und Baugrund. Etwa neun Prozent der für den Hochbau verwendeten Betonmenge werden für die Baugrube verwendet, während die CO2-Emissionen, die durch die Baugrube entstehen, ungefähr 23 Prozent der gesamten CO2-Emissionen ausmachen. Beim Wettbewerb Recyclinghof Juch-Areal war die Verwendung von Re-Use-Teilen Pflicht. Das Siegerprojekt «Hallo, wir sind’s wieder» konnte eine THG-Reduktion von 90 Prozent durch das Re-Use von Bauteilen bei Decken und Tragwerk erzielen. Beim Beton – das Amt für Hochbauten lässt pro Jahr rund 25‘500 m3 verbauen – liegt der Anteil Recycling-Beton zwischen 80 und 90 Prozent. Mit CO2-optimierten Zementen sind THG-Emissionen heute bereits möglich. Die Pariser Klimakonferenz will die Erderwärmung auf 1,5 °C begrenzen, das Amt für Hochbauten arbeitet mit Hochdruck an Massnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen im Bausektor.  

Textilmuseum St. Gallen - Bauen im Bestand

Joseph Schwartz, Prof. em. Dr., dipl. Bauing.

Büroinhaber und Geschäftsleiter Dr. Schwartz Consulting AG, Zug

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Um einem 130 Jahre alten Bauwerk eine nochmalige Lebensdauer von 100 Jahren zu verschaffen, verabschiedete sich Prof. Joseph Schwartz, Dr. Schwartz Consulting AG, Zug, im Sinne einer nachhaltigen Lösung vom «Reduce, Re-Use, Re-Cycle-Mainstream». Diese Aussage kam auch für das Auditorium überraschend. Für die Erneuerung und Erweiterung des Textilmuseums in St. Gallen – das Vorhaben befindet sich aktuell in der Vorprojektphase – war ursprünglich eine Art Dachaufbaute mit Terrasse vorgesehen. «Diese Lösung hätte allerdings zu einer Verschachtelung der Nutzungsbereiche geführt.», sagte Joseph Schwartz. Der Wunsch war, den Bestand mitsamt den filigranen Gussstützen und den leichten Decken so weitgehend wie möglich zu erhalten. Der Lösungsansatz liegt nun darin, neu einen grossen unterirdischen Raum vorzuschlagen und die Lager ins Dach zu übersiedeln. Dafür muss ein Abfangtisch auf der Höhe des momentanen Kellers erstellt werden. Der Eingriff würde sich auf zwei Seiten im Schlitzwandverfahren beschränken. Die Dachkonstruktion wird in Holzbauweise ersetzt, so dass ein riesiger freier Raum entsteht, wobei die Lasten auf die Aussenwände geleitet und die Gussstützen entlastet werden. Die lichten Räume in den Stockwerken bleiben in ihrer vorgesehenen Verwendung erhalten. Der Aushub im Untergeschoss erfolgt in Deckelbauweise. Einer von mehreren Vorteilen dieser Variante ist, dass man bis an die Parzellengrenze gehen kann.   

Zukunft des Betons: Herausforderungen und Lösungen im Fokus des 15. Betonforums

Folgender "die baustellen 6/23"-Beitrag beschreibt das 15. Schweizer Betonforum, das sich auf die Rolle von Beton im Kontext der Kreislaufwirtschaft, CO2-Reduktion, Ökologie und Ökonomie konzentrierte: 

Eintauchen in die Atmospäre des 15. Schweizer Betonforums

Villa Sandmeier, Lacroix Chessex Architectes, Genf

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