Das archimedische Prinzip besagt, dass jeder Körper auf Wasser schwimmt, wenn das Gewicht des vom Körper verdrängten Wassers grösser als das Gewicht des Körpers selbst ist. Das erklärt die Schwimmfähigkeit von Stahlschiffen. Verdrängt ein Rumpf genug Wasser, trägt das Schiff Eigengewicht und Fracht. Vorausgesetzt, das Schiff ist wasserdicht. Was, wenn man versucht Beton schwimmfähig zu machen? Funktioniert das überhaupt?

       

      Während dem 1. Weltkrieg wurde Stahl für die Schifffahrt ziemlich schnell zur Mangellage, denn Schiffe haben per Konstruktion einen sehr grossen Bedarf an Stahl. Die Lösung bot Beton. In der Folge wurden Frachtschiffe aus Beton vom Stapel gelassen. Beton war günstig und bot dank Schalungsbau kostensparende Produktion. Einzig das hohe Gewicht verringerte die Manövrierfähigkeit und die Tragfähigkeit im Vergleich zur Grösse. Das sind die Hauptgründe, warum sich Betonschiffe nicht durchgesetzt haben.

       

      Kanu statt Kontainerschiff

      Stahl ist in der Schifffahrt das Material erster Wahl. Doch was ist, wenn man sich auf die Ursprünge besinnt und im Kleinen erforscht, ob Beton nicht doch einen maritimen Siegeszug antreten kann? Seit einiger Zeit messen sich Technische Hochschulen in Betonkanu-Regatten. Dabei konzipieren Studentinnen und Studenten mit dem Baustoff Beton Kanus aus Beton. Hohe Festigkeit, Wasserdichtigkeit und natürlich geringes Gewicht sind die Hauptkriterien, die ein Betonkanu erfüllen muss, um zwei Personen zu tragen und schnell übers Wasser zu gleiten.

       

      Betonkanu Verein ETH Zürich

      Das Polytechnikum in Zürich ist beim Flottmachen von Kanukonstruktionen aus Beton vorne mit dabei. Studierende, die sich für die Möglichkeiten des Werkstoffes Beton interessieren und ihr Wissen in die Praxis umsetzen möchten, bereiten sich jedes Jahr für eine interuniversitäre Regatta vor. Hierzu wurde ein Verein gegründet, um erworbenes Know-how weiterzugeben und um letztlich Innovation im Bereich Bau- und Baustoffwesen voranzutreiben. Die amtierende Präsidentin des Vereins gibt im Interview Auskunft über die Aktivitäten des Vereins.

       

      Betonkanu Verein

      Betonkanu Verein

      Carolin Braun ist Bauingenieur-Studentin am Departement Bau, Umwelt und Geomatik an der ETH Zürich und amtierende Präsidentin des Betonkanu Vereins der ETH. Wir konnten mit ihr ein Interview über die exotische Disziplin führen.


       

      Liebe Carolin Braun, schön haben Sie Zeit für ein Interview. Stören wir Sie beim Bau eines neuen Kanu-Prototyps?

      Noch nicht! Derzeit sammeln wir noch Werkstoffe für das nächste Kanu. Vor uns türmt sich ein ansehnlicher Berg von alten Autosicherheitsgurten.

       

      Betonkanu und Autogurte?

      Die Gurten haben wir für das Kanu-Modell 2023 als Armierungsmaterial gewählt. Weil gut formbar, solide und weil die Gurten den Recyclinggedanken unterstützen. Wir testen derzeit, wie wir die Armierung hinbekommen. Der effektive Bau beginnt diesen Frühling im April.

       

      Beton und Kanu klingen wie Wasser und Feuer. Wie kommt man ausgerechnet zur Idee eines Betonkanus?

      Wer genau die Idee hatte, weiss ich nicht. Dass Hochschulen Kanus aus Beton entwickeln, gibt es sicher seit 20 Jahren. Grundsätzlich finde ich die Kombination aus Kanu und Beton ausgefallen. Das macht es für mich reizvoll. Man denkt beim Stichwort Kanu wohl erst ganz zum Schluss an Beton. Das macht das Ganze natürlich spannend. Und dass es funktioniert, ist einfach toll.

       

      Was hat sie gereizt, Betonkanus zu bauen und wie sind Sie zum Betonkanuverein gekommen?

      Eigentlich durch Zufall. Wenn man sein Studium beginnt, stellen sich alle universitären Clubs, Vereine und Verbindungen vor. Als sich der Betonkanuverein vorgestellt hat, war die Sache für mich klar. Das hat vom Fleck weg super interessant geklungen.

       

      Beton ist von aussen betrachtet kein schwimmfähiges und wasserdichtes Material. Besteht gerade darin der Reiz?

      Ja, sehr. Beton ist an sich nicht komplett wasserdicht. Es kommt auf die Mischung an. Die Dichte ist ausschlaggebend. Jeder Beton «saugt» wohl etwas Feuchtigkeit. Die Kanus stehen zudem nur für eine Regatta im Wasser und lagern sonst an Land. Klar, man könnte die Rümpfe lackieren oder mit wasseraussperrenden Folien ausrüsten. Das ist per Reglement des Betonkanuverbands aber nicht zugelassen. Wir wollen den Baustoff Beton pur zum Schwimmen bringen!

       

      Problematisch jedoch sind mögliche Risse im Kanu. Damit hatten wir im letzten Jahr am meisten zu kämpfen. Es gab schon Kanus, die kurz nach Stapellauf mit Wasser vollliefen und eine Woche vor einer Regatta immer noch nicht wasserdicht waren. Da muss man rasch und mit Einfallsreichtum Abhilfe schaffen.

       

      Haben Sie die Kanus von Grund auf neukonzipiert oder gab es bereits Know-how, auf das Sie zurückgreifen konnten?

      Im Verein sind Studierende aus jedem Semester dabei. So geben die älteren Semester ihre Erfahrungen natürlich an die jüngere Generation weiter. Wir verfolgen aber jedes Jahr ein neues Konzept respektive neue Ansätze und betreten so immer wieder Neuland. Dabei gibt es immer zwei Kanutypen. Das eine ist das Bachelor-Kanu, dass wir mit der Dozentenschaft am ETH-Departement Bau, Umwelt und Geomatik entwickeln. Im Bachelor-Kanu steckt viel Forschung drin. Dann gibt es das Vereins-Kanu, dass mehr auf Freestyle angelegt ist und wo wir noch mehr ausprobieren können. Beide Kanus sind aber ziemlich frei in der Konzeptwahl.

       

      Wie lange dauert der Bau eines Kanus?

      Wir planen bis zu drei Monate. Die effektive Bauzeit beträgt dann etwa drei Wochen, wobei das Bachelor-Kanu meist etwas mehr Zeit benötigt.

       

      Wie wird ein Betonkanu gebaut? 

      Zuerst legen wir das Grundkonzept fest. Wie und womit wollen wir die Armierung umsetzen? Welche Schalung wollen wir verwenden? Wie nachhaltig können wir das Kanu bauen? Dann folgt die Materialsuche und die Materialwahl. Wie kommen wir an die Materialien? Finden wir Unternehmen, die uns dabei helfen? Es folgen dann die konkreten Materialtests. Dieses Jahr mit den Autogurten. Wie reagiert das Gurtengewebe mit Beton? Wie verhält sich die Struktur beim Zugversuch? Wie muss die Betonmischung sein? Zum Schluss folgt dann der effektive Bau, gefolgt vom hoffentlich erfolgreichen Stapellauf.

       

      Wo erfolgt der Stappellauf?

      Auf dem ETH Campus Hönggerberg gibt es eine schöne Teichanlage, die wir nutzen können. Die ist zum Glück nicht sehr tief, falls etwas schief gehen sollte.

       

      Ist die Betonmischung ein Geheimrezept? Oder worauf muss man achten?

      Geheimrezepte gibt es dafür eigentlich nicht. Das Konzept gibt jeweils die Mischung vor. Wir hatten ein Kanu mit einer Armierung aus Weidezweigen. Das bedurfte einer anderen Viskosität, als dies für das Kanu mit alten Jeansstoffbahnen nötig war. Der Beton muss genug flüssig sein, damit wir ihn von Hand in die Rumpfform streichen können, aber auch fest genug, dass er uns nicht von der Wand in den Rumpf läuft.

       

      Wie verstärkt oder armiert man den Beton?

      Wie erwähnt verfolgen wir jedes Jahr neue Konzepte und dazu ist natürlich die Armierungsart zentral. Dieses Jahr arbeiten wir mit Glasfaser und Autogurten. Wir hatten auch schon Carbonfasern oder die erwähnten Weidezweige. Bei den Weiden mussten wir den Beton ziemlich grobflächig einpflastern. Wir hatten auch schon eine Papierschalung zur Hilfe genommen und den Beton dann aufgesprayt, was dann für eine schöne, glatte Oberfläche gesorgt hat. Bei der Armierung mit dem Jeansstoff haben wir den Beton mit Pinseln aufgetragen.

       

      Betonkanus sind schon ein paar Jahrzehnten in der Hochschulszene verankert. Welche Innovationen wurden in dieser Zeit entworfen?

      Die Kanus sind vermutlich keine direkten Innovationsmotoren. Aber die ETH ist einer und darum wenden wir hier die aktuellsten Möglichkeiten in einer sehr animierenden Praxis an, die einfach Spass macht. Es gab natürlich schon sehr innovative Kanus, die Schule machten. Ein gutes Beispiel war das «SkelETHon». Hierbei wurde eine Art Skelett als Grundform bzw. Armierungsgrid mit einem 3D-Drucker gedruckt und dann mit Beton gefüllt.

       

      Bestehen die Paddel eigentlich auch aus Beton?

      Die Paddel nicht! Ziel ist aber, die Bojen, die ein Kanu dabeihaben muss, als mit Signalfarbe angemalte Leichtbau-Betonkugeln mitzuführen. Die Bojen sollen bei einer Kenterung klar signalisieren, wo sich das Kanu befindet.

       

      Fährt sich ein Betonkanu wie ein herkömmliches Kanu oder was muss man beachten?

      Letztes Jahr wurde eines unserer Kanus ca. 250 kg schwer und die Form war eher badewannenmässig als pfeilförmig. Das erschwert die Navigation mitunter sehr. Daher haben wir aufgrund des eher schwerfälligen Kanus nicht so sehr brilliert. Es gab aber auch Kanus, die nur 18 kg leicht waren und die gewichtstechnisch an herkömmliche Boote ziemlich nah herankommen.

       

      Was sind die Vorteile von Betonkanus?

      Ich würde sagen, dass bei unserem Betonkanuverein der Mix aus Forschung, Technik und Spass der grösste Vorteil darstellt. Die Erfahrungen mit den Materialien und die spannenden Konzepte stehen im Vordergrund. Und auch wenn mal ein Kanu Leck schlägt, ist das kein Weltuntergang. Rein sportlich bietet ein Betonkanu aber keine Vorteile. Aber es macht einfach grossen Spass!

       

      Sie fahren mit ihren Booten Regatten. Ihr Palmarès?

      Die ETH Zürich hat soviel ich weiss noch nie den Speedpreis gewonnen. Aber darum geht es nur nebenbei, denn es gibt jeweils verschiedene Preise zu holen. Wir haben schon oft den ersten Preis für die innovativste Konstruktion geholt. Letztes Jahr hatten wir mit dem mit Jeans armierten Kanu den Nachhaltigkeitspreis gewonnen, was uns natürlich sehr wichtig war.

       

      Wird Betonkanufahren olympisch?

      Im letzten Jahr waren 35 Teams mit 70 Booten dabei. Die kamen aus ganz Europa: u.a. Deutschland, Polen, Holland und sogar die Türkei waren dabei. Dieses Jahr findet der Wettbewerb in Holland statt. Olympisch wird unsere Disziplin wohl kaum. Aber dabei sein ist, ganz nach dem olympischen Motto der Neuzeit, alles!

       

      Gibt es eine Betonkanuszene und pflegen Sie Austausch?

      Die Szene ist klein und tauscht sich vor allem am Event aus. Instagram ist natürlich eine Plattform, auf der man sich austauscht. Und sich freut, bekannte Gesichter wieder zu sehen.   

       

      In den 1910er und 1920er Jahren hat man aus Gründen von Stahl-Mangellage Kriegs- und Frachtschiffe aus Beton gebaut. Meinen Sie, dass Beton einmal in der Schifffahrt ein Revival feiern wird?

      Solange genug Schiffsstahl gesourct werden kann, wohl kaum. Die Schiffe von einst waren viel zu schwer und die sonstigen Nachteile zu gross, als dass Beton einen maritimen Siegeszug hätte antreten können.

       

      Was halten Sie vom Baustoff Beton generell?

      Beton hat noch grosses Potenzial! Wir sehen, dass da noch immer viel an Entwicklung möglich ist. Vor allem im Bereich Nachhaltigkeit, der uns sehr wichtig ist. Schön ist auch zu sehen, dass Beton nicht mehr als graue Fläche wahrgenommen wird. Es sind mittlerweile viele neue Formen und wegweisende Architektur möglich. Da bin ich gespannt, was die Zukunft noch bringen wird.

       

      Würden Sie ein Betonhausbauen oder einem anderen Material den Vorzug geben?

      Grundsätzlich bin ich vielseitig interessiert. Wie gesagt, Beton ist spannend. Ich finde auch den Stahlbrückenbau faszinierend. Holz gefällt mir als Material per se sehr gut und natürlich auch, weil es nachwachsend ist. Aber letztlich kommt es aufs Projekt und den Umfeldbezug an.

       

      Was hat Sie ermutigt, das Präsidium des Vereins zu übernehmen?

      Nun, ich war von Anfang an mit Begeisterung dabei. Als dann das Präsidium vakant war und niemand wirklich wollte, habe ich mich zur Verfügung gestellt. Es ist zusätzlich zum Studium nicht wenig an Arbeit. Aber unser 35-köpfiges Team ist grossartig und es ist einfach eine grosse Freude, zusammen etwas sprichwörtlich Konstruktives zu erarbeiten. Ich lerne viel über Organisation, kann Kontakte mit Unternehmen und Sponsoren ausbauen.

       

      Was ist der Hauptzweck des Vereins?

      Der Verein soll den Zugang zum Baustoff Beton ermöglichen und Theoretisches in die Praxis umsetzen. Die Regatten sind am Schluss das Sahnehäubchen. Dann sind natürlich die Tipps aus dem Studienalltag von älteren Semestern wichtig. Der Austausch unter der Studentenschaft ist im Verein immer da. Das ist natürlich ein Vorteil.

       

      Ihre Prognose für die diesjährige Regatta?

      Wir hoffen bei der Nachhaltigkeit und der Konstruktion ganz vorne mitmischen zu können!

       

      Besten Dank für dieses Gespräch und viel Erfolg!

       

       

       Hinweis für Interessierte: Am 18. April ist Tag der offenen Werkstätte des Betonkanu Vereins

      Villa Sandmeier, Lacroix Chessex Architectes, Genf

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