«Warum sind unsere Maschinen schön? Weil sie arbeiten / sich bewegen / funktionieren.»

Wie die meisten Anlagen der Basisindustrie übt auch das Zementwerk in Siggenthal eine starke Faszination aus. Das liegt fraglos an der schieren Grösse, zumal in der Schweiz, wo Bergbau und industrielle Grossanlagen Seltenheitswert haben. Aber nicht nur. Wir sehen aussergewöhnliche Formen, abstrakte, teils fast massstabslose Körper, versammelt unter dem Licht. Aber es ist kein grosser oder grössenwahnsinniger Architekt, der hier auf die Idee gekommen ist, die Landschaft als Sandkasten für seine Komposition zu missbrauchen. Vielmehr vermuten wir eine zwingende Logik hinter dem Gebilde. Wir denken an gewaltige Kräfte von Funktion und Ökonomie, die das präzise Spiel nach ihren eigenen, exakten Regeln in Gang gesetzt haben. Gerade weil wir im komplizierten Gebilde keine nachvollziehbare Logik erkennen, die auf einen Willen schliessen liesse, scheint jegliche Willkür ausgeschlossen. So betrachten wir das Gebilde der Ingenieure und Techniker fast wie eine Naturerscheinung. Unsere Fragen nach dem Warum sind Fragen nach den Gesetzmässigkeiten, nicht Fragen nach einem Autor, nach dessen kompositorischen Fähigkeiten oder gar nach dessen Vorlieben.

Massstabslose Körper, versammelt unter dem Licht

Seit 1972 überwindet ein Förderband die 3.7 Kilometer lange Strecke zwischen Steinbruch und Zementwerk.

Weil wir wissen, dass in einem Zementwerk Stein zu Zement verarbeitet wird, sehen wir in den Bauten einen Ausdruck dieses Prozesses. Wir vermuten in den Gebäudeclustern die Stationen der Produktion und in den Linien die Wege, die das Material zwischen ihnen durchläuft. Das ist zwar nicht ganz falsch, aber noch weniger richtig. In Wirklichkeit sind die auffälligsten Elemente, die von Bahn und Strasse aus ins Auge springen, von untergeordneter oder genauer von nachgeordneter Bedeutung. Die entscheidenden Stationen der Produktion liegen hinter ihnen, beinahe versteckt. Bei der Führung durch das Werk lässt uns dessen Leiter Thomas Brühlmann zunächst in ein Auto steigen. Wir verlassen das Gelände, überqueren die Aare und finden uns plötzlich in ländlicher Idylle wieder. Wir passieren das Dorf Villigen und fahren auf einer kleinen Strasse an Rebbergen vorbei hügelaufwärts. Ein Blick zurück auf das Werk erklärt uns seine Lage. Die Aare quert hier auf ihrem Weg nordwärts die Kalkfelsen des Juras. Die Fabrik steht auf einem Plateau zwischen Fluss und Eisenbahn. Nur wenige hundert Meter dahinter liegt der Steinbruch Iberig, der bis 1955 die Rohstoffe geliefert hat. Inzwischen wächst dort Wald, sodass die Wände in den Bäumen kaum noch zu erkennen sind. Zum neuen Steinbruch Gabenchopf führte früher eine Seilbahn, aber seit 1972 überwindet ein Förderband die 3,7 Kilometer lange Strecke. Es zeichnet eine Linie in die Landschaft, die einen einzigen Knick hat und sich weder um die Topografie noch um die Bebauung schert. Auf Stelzen überquert sie die Senken, die Kühe und die Gewächshäuser der Gemüsebauern, bevor sie mit einem schlanken Sprengwerk über die Aare setzt, um wieder im Wald zu verschwinden. Reine Geometrie und ein Triumph der Ratio über die Natur, aber auch Ausdruck der Funktion. Man glaubt geradezu, das Band zu sehen, das über dem Tal durchzuhängen scheint, schlaff gespannt zwischen den Kuppen der Hügel. Seinen Anfang findet man bei einigen bescheidenen Bauten mitten im Wald. «Tüfelschuchi» verrät die Landeskarte. Der schmale Einschnitt in der Topografie lässt zunächst keinen Blick auf das Abbaugebiet zu. Umso eindrücklicher wirkt, was sich dahinter eröffnet. Abrupt ändert sich der Massstab. Die Landschaft hat sich den gewaltigen Muldenkippern und Radladern angepasst.

Zementwerk Siggenthal

Vollständiger Essay aus BAUEN IN BETON 2020/21

Villa Sandmeier, Lacroix Chessex Architectes, Genf

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