Man muss kein Exot sein, um Beton zu lieben

Die Zeitenwende macht auch vor dem Thema Beton nicht Halt. Die Vorträge zum Thema «Gebäude neu denken!» am 14. Schweizer Betonforum vom 19. Mai 2022 in Zürich zeigten Facetten der  Massenware Beton, die den Zuhörer nur noch staunen liessen: Präsentiert wurden ein Ultrahochleistungsbeton mit Aerogel, der für alte und neue Anforderungen, die an Beton gestellt werden, die Lösung für alles bietet und dazu noch die Luft reinigt; Hybridbauten, bei denen Beton sich mit Holz auf eine langfristige Liaison einlässt und Gebäude mit Holz-Beton-Verbunddecken, die in der Schweiz zwar noch nicht normiert sind, aber schon gebaut werden;  ein Nullenergiehaus ohne CO2-Emissionen, bei dem sich die Bewohner den Raum frei und selbst gestalten müssen und dürfen; ein Theater und eine Brücke, bei denen Beton die Identität der Bauten stärkt und die heute auf Instagram zelebriert werden und der neue SRF-Campus, bei dem lange einzig sicher war, dass alles offen ist, was am Ende zu einem sensationellen Werk samt sensationeller Betonarbeit führte. 

 

Sowie ein mutiger, fast radikaler Ansatz, dass Gebäude, wenn sie schon nicht erhalten, so doch zerteilt und an anderer Stelle wiederverwendet werden. Dann ein Weckruf an die Branche, sich bei Recyclingbeton nicht in die eigene Tasche zu lügen, und neben dem Ressourcenverbrauch auch den CO2-Fussabdruck zu deklarieren. Moderiert wurde die Veranstaltung von Lukas Ingold, Architekt und Lehrbeauftragter bei der Forschungsgruppe von Prof. Dr. Joseph Schwartz im Departement Architektur an der ETH Zürich und Patrick Suppiger, Geschäftsführer BETONSUISSE.  

Alle Referate des Betonforums gibt es hier:

Univ.-Prof. Martina Schnellenbach Held

Innovative Betone - von der Multifunktionalität bis zur Optimierung unter Weltraumbedingungen

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Martina Schnellenbach-Held,

Universität Duisburg-Essen

Prof. Martina Schnellenbach-Held, Universität Duisburg-Essen, nahm die Anwesenden auf eine grosse Reise vom Labor bis in den Weltraum mit. Am Anfang stand ein multifunktionaler Beton, der alle bauphysikalischen Eigenschaften wie Tragfähigkeit, Wärme- und Schallisolierung, Brandschutz, einschalige Bauweise und dazu noch Luftreinigung in sich vereint. Heraus kam der mittlerweile patentierte HPAC (Hochleistungsaerogelbeton). Kern des HPAC ist ein Quarzglas-Aerogelgranulat, ein Werkstoff auf Silikatbasis, wasserabweisend, UV-stabil, mit Korngrössen zwischen 0,01 und 4 Millimetern. Und wie vergleicht man diesen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit zu anderen Werkstoffen? «Wir haben den Faktor Leistungsgewicht, den man aus dem Motorsport kennt, für einen Baustoff hergeleitet und ihn ins Verhältnis zu Druckfestigkeit, Rohdichte und Wärmeleitfähigkeit gesetzt», erläuterte Martina Schnellenbach-Held, «und HPAC mit gängigen Materialien verglichen.» Die Leistung der meisten HPAC-Mischungen ist höher als die von konventionellen Wandbaustoffen. Auch für den Einsatz als bewehrter Beton ist HPAC geeignet. Mit einer Titandioxid-Beschichtung gelingt es dem neuen Beton, Stickoxide aus der Luft zu holen, die bei Regen abgewaschen werden. Weitere Einsparpotenziale erhofft man sich aus Versuchen im Weltraum, wo auf der internationalen Raumstation ISS 64 Betonproben unter Schwerelosigkeit gemischt wurden. Das Gemeinschaftsprojekt von DLR, ESA, NASA, Uni Duisburg-Essen und Biotesc (Luzern) rechnet damit, ab Herbst die Proben auswerten zu können.  

Heinrich Degelo

Realisierung eines Nullenergiehauses in Massivbauweise

Heinrich Degelo, Architekt BSA SIA

Partner DA., Basel

«Was wir machen müssen, ist klar», sagte Heinrich Degelo, Architekt und Partner der Degelo Architekten DA in Basel, «ab jetzt kein Öl, kein Gas, keine Kohle». Mit der Genossenschaft HomeBase realisierte er in Basel ein Gebäude, das in mehrfacher Hinsicht die Zukunft des Wohnungsbaus vorwegnimmt. Das Nullenergiehaus in Massivbauweise emittiert im Betrieb null CO2. Eine Heizung gibt es nicht, Wärme liefern die direkte Sonneneinstrahlung und die Elektrizität, die die Bewohner zum Kochen, Kommunizieren etc. verbrauchen. Der Grundriss ist flexibel und entspricht der Fläche einer Drei-Zimmer-Wohnung ohne Zwischenwände, einzig vorgegeben ist ein Element mit Sanitär- auf der einen und Anschlüssen für die Küche auf der anderen Seite, welches verschoben werden kann. Die Mieterinnen und Mieter können, ja müssen ihren Raum selbst gestalten. Damit liess sich bei diesem Nullenergiehaus eine Miete von 10 Franken/Quadratmeter im Monat realisieren. «Gute Architektur ist auch sehr nachhaltig», so Degelo weiter, «das Holz ist nicht behandelt, die Aussenwände bestehen aus Backstein und Kalkputz, das Gebäude ist nicht patentiert, man darf uns kopieren und ich freue mich über jede Kopie.»

Elisabeth Boesch

Weiterbauen am Bestand

Elisabeth Boesch, Architektin BSA 

E. & M. Boesch Architekten, Zürich

Elisabeth Boesch, Elisabeth & Martin Boesch Architekten, Zürich, bescheinigt dem Umbau grosses Potenzial: «Das Re-use hat in Praxis und Lehre deutlich an Terrain gewonnen». Umbauen heisst: viel stehen lassen, wenig neu bauen. Boesch Architekten realisierten die gestalterische Form bei der Ertüchtigung der Hardbrücke in Zürich und brachten das vielmals um- und angebaute Kurtheater in Baden ins Gleichgewicht. Bei den beiden Beispielen spielt Beton eine bedeutende Rolle, doch geht es hier weniger um das Material per se, sondern um Raum und Gestalt. Erstaunlich viel Gestaltungsspielraum genossen die Architekten bei der Hardbrücke, die in den 70er Jahren als Provisorium erstellt wurde. Das Licht war ein sehr wichtiges Element. Neben der Schmuckbeleuchtung an der Untersicht der Kragplatten haben Boesch Architekten auch die Kandelaber entworfen. Ein direktes Mandat betraf die fünf Treppenaufgänge in Sichtbeton zu den Bushaltestellen, die sich spiralförmig nach oben winden.

Das Kurtheater Baden, 1952 als Sommertheater erbaut, mittlerweile viel zu klein und in Teilen denkmalgeschützt, durchlief eine Transformation. Nach Abbruch, Ertüchtigung, Weiterbau und Überformung wuchs die Nutzfläche um über 50 Prozent. Alt und neu unterscheiden sich auf den ersten Blick nicht und die Konstruktion im Anbau entspricht den heutigen Anforderungen. Das vergrösserte Foyer entstand durch Überformung des Foyers aus den 60er Jahren mit den «Knochen» des alten. Der Portikus aus 1952 wurde abgebrochen und ein zweites Foyer erstellt. Mit «Same same but different» beschreibt Elisabeth Boesch die beiden Foyers, die sich in vielem wie Verglasung, Bezug zum Park, Decke und Boden sowie Licht verwandt sind.  Das Haus hat keine Symmetrie, aber nunmehr ein Gleichgewicht.

Charlotte Bofinger

Post-fossiler Festbeton - Beispiele und Visionen der Betonwiederverwendung

Charlotte Bofinger, Bauingenieurin für Wiederverwendung

Zirkular GmbH

Die Bauingenieurin Charlotte Bofinger von Zirkular in Basel, fragt sich und ihr Publikum, wie die Bauwirtschaft von Kohlenstoff «befreit» und eine lineare Wirtschaft in eine Kreislaufwirtschaft umgewandelt werden kann. Seit der Industrialisierung steigen die CO2-Emissionen. Für das «Massenmüllaufkommen» ist die Bauwirtschaft massgeblich mitverantwortlich, vor der Industrialisierung wurden die Gebäude klimaneutral erstellt. Bofinger schlägt vor, anstelle von «Design for Trash» den Bestand in einen Kreislauf zu überführen. Insbesondere geht es darum, die heute schon verbauten Elemente nach dem Prinzip «Design by Availability» wiederzuverwenden. So kann noch lange Nutzen aus den Erstellungsemissionen der Vergangenheit gezogen, und der Kreislauf geschlossen werden. Kalkstein ist ein Rohstoff für die Zementproduktion und stellt eine fossile Kohlenstoffsenke dar.  «Wie kann ein fossiler Baustoff im post-fossilen Zeitalter überhaupt eine Rolle spielen?», fragt Charlotte Bofinger. Sie setzt auf Reduce – Reuse – Recycle, wobei Bestandserhalt das höchste Potenzial aufweist. Eine Studie für die Stadt Zürich zeigt für die Triemli Hochhäuser, dass die vorgemauerten Zwischenwände als Ganzes wieder rausgehoben werden können ebenso die vorfabrizierten Betondecken. Die meisten Verbindungen, die es bräuchte, um am Bestand anzubauen, sind schon entwickelt. Die Bauteile des Triemli sollen in einem Vorreiter-Projekt beim neuen Recyclingcenter Juch Areal wiederverwendet werden. So könnte Rückbau zur Demontage werden.

Patrick Eberhard

Zirkulärer Beton

Patrick Eberhard, Bauingenieur FH, Leiter Hightech-Beton

Eberhard Unternehmungen

Patrick Eberhard, Eberhard Unternehmungen in Kloten, wundert sich über das Image von Beton als «unökologischsten Baustoff unserer Zeit». Zu Unrecht, wie er findet, Beton ist kreislauffähig, aber der Kreislauf ist noch nicht geschlossen. Man muss zwischen Recycling und Kreislaufwirtschaft unterscheiden. Recycling steht laut Patrick Eberhard für Downcycling, Kreislaufwirtschaft für das zirkuläre, stoffliche Verwerten. Die Zahlen und damit die Potenziale sind immens. Die Schweiz produziert jährlich 77 Mio. Tonnen Abfall - 80 Prozent stammen aus dem Bauwesen - und sie verbraucht 65 Mio. Tonnen an Ressourcen, 60 Prozent davon gehen in den Bau. Betrachtet man die Kreislaufwirtschaft im Hochbau, werden nur 10 bis 15 Prozent wiederverwertet. Nur ist Beton überhaupt das Problem oder ist es das Bauen? Unsere Gesellschaft ist eine Wohlstandsgesellschaft. Die Wirtschaft macht das, was der Markt nachfragt. Und Beton ist der nachhaltigste Baustoff, um diese Nachfrage zu decken. «Die Ökologie von Baustoffen muss anhand von Ressourcenverbrauch und CO2-Fussabdruck gemessen werden», erläutert Patrick Eberhard. Das Unternehmen Eberhard definiert beim Beton einen Recycling-Anteil von mindestens 25 Prozent und einen Mindestzementgehalt eines CEM II/A-LL und nur dann ist es ein zirkulärer Beton. Patrick Eberhard rät der Branche, alle RC-Betone einer Ökobilanz zu unterziehen und verweist dazu auf die FSKB Umweltproduktedeklaration: «Es geht um den absoluten CO2-Ausstoss, die meisten RC-Betone schiessen darüber hinaus.»

Prof. Dr. Andrea Frangi

Hybridbauten, das Beste von jedem Baustoff

Prof. Dr. Andrea Frangi

Institut für Baustatik und Konstruktion, ETH Zürich

Hybridbauten vereinen für Prof. Andrea Frangi, ETH Zürich, das Beste von jedem Baustoff. Sie treiben die Innovation voran, dank der grossen Palette von einsetzbaren Baustoffen könne man noch effizienter und nachhaltiger bauen und den CO2-Ausstoss vermindern. Die erste Generation von Holz-Beton-Hochhäusern in der Schweiz steht bereits. Andrea Frangi zeigte am Beispiel der Decke - einem Schlüsselelement - wie man beide Elemente zusammen verbindet. Dabei handle es sich um eine bekannte Technik, die vergessen ging. Das erste Patent zur Holz-Beton Verbundbauweise stammt aus dem Jahre 1922. Dieser Verbund ist nicht starr, er ist nachgiebig, das Patent dazu zur Differentialgleichung von Prof. Fritz Stüssi, ETHZ, ist aus dem Jahre 1943. Die Vorteile der Holz-Beton Verbundbauweise sind Tragwiderstand, Steifigkeit, Brand- und Schallschutz und Nachhaltigkeit. «An der ETH spielen wir mit den zwei Materialen», erläutert Andrea Frangi, «wir haben einen neuen Holz-Beton-Verbund mit Mikrokerben». Mit einer Tiefe von vier Millimetern erreicht man eine Mikroverzahnung. Die Bewehrung scheint zu funktionieren. Dazu laufen Versuche und Messungen zu langfristigen Durchbiegungen. Bei Holz-Beton-Verbundbauten taucht immer die Schwierigkeit der vielen Versagensarten bzw. Bruchmechanismen auf. Wenn man richtig konstruiert, hat man mit einem spröden Material wie Holz ein duktiles Versagen wie bei Stahlbeton oder Stahl (Verweis Doktorarbeiten Timber-concrete composite slabs with micro-notches - Research Collection (ethz.ch), Timber-concrete composite slabs made of beech laminated veneer lumber with notched connection - Research Collection (ethz.ch).  

Martin Vallier

Neubau SRF Campus, alles aus dem Baustoff herausgeholt

Martin Valier, Bauingenieur HTL, Geschäftsmitinhaber

Penzel Valier AG, Zürich

Martin Valier, Penzel Valier AG, realisierte den SRF-Campus in Zürich Leutschenbach, einem Projekt, bei dem es seitens der Bauherrschaft keine klaren Vorgaben gab, jedoch maximale Flexibilität in alle Richtungen erwartet wurde. Leutschenbach ist organisch gewachsen, in diese Struktur sollte nun eine Tiefgarage und ein Technikcenter als Multifunktionsgebäude integriert werden. Der Wunsch der Bauherrschaft war es, die Tiefgarage zentral in den Raum zu bauen, von früheren Bauten waren Pfähle im nahen Umfeld. Und im Leutschenbach gibt es artesisch gespanntes Grundwasser. Die Tiefgarage mit vier Untergeschossen wurde in Deckelbauweise erstellt. «Wir sahen keine provisorischen Stützen vor», erläutert Martin Valier. Der Bau ging in Etappen vorwärts: sechs Meter vorgraben, schalen, armieren und betonieren am gleichen Tag. Das Novum an dieser Tiefgarage ist die oberste Decke, die sogenannte Sandgussdecke. Sie ist nicht auf einer klassischen Schalung gebaut, sondern auf gewachsenem Terrain direkt modelliert, aufgebaut und abgefräst. Im Kontrast zu der rauen Form wurden die Rampen sehr fein strukturiert, konische Brüstungen winden sich von oben nach unten, Lichthöfe öffnen sich nach oben, in der Summe wecken sie das Gefühl einer Felskaverne. Darauf wurde das über die Tiefgarage auskragende Technikcenter erstellt.

Mehr erfahren über den SRF Campus von Penzel Valier AG:

Villa Sandmeier, Lacroix Chessex Architectes, Genf

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